Portraitkonzert Johan Svensson & Michael Beil

STIMMEN DER ENERGIE

Doppelportraitkonzert Progetto Positano
von Anna Schürmer

Positano ist eine kleine Gemeinde an der italienischen Amalfi-Küste: malerisch schmiegen sich Häuser dicht gedrängt an die Steilküste über dem türkis-blauen Mittelmeer; darunter die Casa Orfeo, die im Namen die orphischen Urgründe der Musik trägt. Wilhelm Kempff gab hier seine Beethoven-Interpretationskurse – das ensemble mosaik hat den Ort gemeinsam mit der Ernst von Siemens Musikstiftung in die klingende Gegenwart gehoben: mit dem Förderstipendium Progetto Positano werden Komponisten eingeladen, für einen Monat in der Casa Orfeo zu leben und zu arbeiten; die Ergebnisse werden im Berliner Heimathafen Neukölln präsentiert.

Die künstlerische Arbeit des ensemble mosaik ist geprägt von der experimentellen Auseinandersetzung mit digitalen Medien in den Bereichen Komposition, Interpretation und Präsentation – da ist es kein Zufall, dass als erster Stipendiat Johan Svensson (*1983) ausgewählt wurde, dem in diesem Doppelportraitkonzert Michael Beil (*1963) zur Seite gestellt wird. Beide eint das Interesse für die Kopplung instrumentaler und elektronischer Klangerzeugung und damit eine für das Medienzeitalter folgenreiche Beziehung: die zwischen Mensch und Maschine. Doch geschieht dies aus jeweils spezifischer Perspektive. Tüftelt Svensson mit elektromechanischen Mitteln an der Erweiterung instrumentaler Klangwelten, bezieht Beil visuelle Medien und theatrale Elemente in seine elektro-instrumentalen Arbeiten ein.

In seiner Werkreihe ampèrian loops I–III (2013/15/17) experimentiert Johan Svensson mit den klangerzeugenden Potentialen spezifischer elektromechanischer Apparaturen: „solenoids“, kleinen Zylinderspulen, die im Kontakt mit akustischen Objekten zu archaisch-futuristischen Klangerzeugern werden: „Obwohl sie primitiv sind, ist es möglich, das Timing und die Geschwindigkeit sehr genau zu kontrollieren“, erklärt der Schwede seine große Faszination an den kleinen Geräten: „Mit der aktuellen Hardware- und Software-Kombination machen die Solenoide Frequenzen um 100 Hz hörbar, was bedeutet, dass sie eine große Vielfalt von Klängen auf jedem Objekt erzeugen können.“ In der Interaktion der menschlichen Musiker und der musizierenden Maschinen zielt er auf eine Ausdehnung des analogen Klangraums: „Die Arbeit mit diesen elektromechanischen Vorrichtungen strebt keine Ersetzung der Interpreten durch hypervirtuose Maschinen an, sondern eine Erweiterung des Ensembles.“

 

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Die drei Teile der Werkreihe arbeiten mit derselben Instrumentierung und den gleichen Klangtypen. Auf jeweils spezifische Weise beleuchten die Stücke die Interaktion von Mensch und Maschine: In ampèrian loops I interessiert sich Svensson für einen „Kurzschluss“ der einzelnen Instrumente mit den Solenoiden und erzeugt mehrschichtige Texturen wie lineare Strukturen: Elektromechanik blitzt auf und wird beantwortet von verspulten Instrumentalklängen. Eine ähnliche, doch räumlichere und flächigere Klangsprache spricht ampèrian loops II, wo Svensson in klar definierten Abschnitten die Verbindungen zwischen den analogen und den elektromechanischen Instrumenten fokussiert. ampèrian loops III schließlich ist das Ergebnis seiner einmonatigen Residenz an der Casa Orfeo: Hier tritt das erweiterte Ensemble als großes „Meta-Instrument“ auf und verschmilzt zu einer neuen Einheit. – Ein stückweit wird hier die Lage Positanos hörbar: „Ich würde nicht sagen, dass die Natur das Stück inspiriert hat; aber die extreme Topographie des Ortes, eingekeilt zwischen steilen Bergen und der weiten See, hat einen starken Eindruck auf mich gemacht“ – diese extreme Exposition spiegelt ein stückweit die widersprüchliche Interaktion von Mensch und Maschine.

Auch Michael Beil fokussiert die hybride Kombination von elektronischer und instrumentaler Musik, doch erweitert er den Klangraum via Video um eine visuelle Komponente und interessiert sich konzeptuell für Bühnensituationen: nicht nur der Klang, auch das Proszenium verändert sich durch die medialen Fortschreitungen, die er als „Selbstverständlichkeit in unserer Welt“ begreift: „Die Ängste vor der Virtualisierung sind verflogen.“ Stattdessen nutzt Beil die neuen Mittel als Medium und Material seiner Audiovisionen: „Komponieren heißt Nachdenken über die Realität des Klangs und seiner Produktion auf der Bühne.“ Der Blick und das Ohr für das Verhältnis Mensch-Maschine sowie die Auswirkungen der Digitalisierung sind dabei essentiell: „Derzeit geht es noch um das Interface, die Vorstufe also, doch das primäre Erleben findet bereits überwiegend in virtuellen Räumen statt.“
Beils drei im Heimathafen Neukölln vorgestellten Werke stehen für sich und bilden doch eine Reihe. Sie können als „musikalisches Theater 2.0“ verstanden werden, indem er Realität und Virtualität in erweiterten Bühnensituationen in Interaktion treten lässt und die Bedingungen des Komponierens im Zeitalter digitaler (Re-)Produktion erforscht: Von Tape tickende Beats strukturieren exit to enter (2013), elektronische Interpolationen werden als brutal rauschende Störgröße zugeschaltet, bevor am Ende elegische Streicherlinien verwirren: das Spiel mit Bekanntem wird zum ›Bluff‹, ein Flimmern der Erinnerung an harmonische Zeiten, auch weil Beil die Musiker als Objekte in Szene setzt und Klang zur Geste, Geste zu Klang wird. In swap (2014) tickt es vom Tonband, Klangflächen und identifizierbare Instrumente treten hinzu und formen die bipolare Welt der digitalen Algorithmen zu Klang. In Key Jack (2017) steht die Szene im Vordergrund: ein Performer übt sich in der Reproduktion digitaler Natur, seine Stimme wird zum Interface einer virtuellen Welt, in welcher der Unterschied zwischen Mensch und Maschine nicht mehr auszumachen ist: »Ich hatte damit gerechnet, dass einige Konzertbesucher verwundert wären, weil ein Pianist auf einem Brett spielt«, kommentiert Beil die Uraufführung; »aber niemand reagierte«. Er sieht darin einen Hinweis „auf die bedingungslose Akzeptanz des Virtuellen, das der Musik unglaubliche Möglichkeiten eröffnet.“

 

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Das Programm des Progetto-Positano-Konzerts arbeitet mit verschränkender Symmetrie: Im ersten Abschnitt folgt auf die Teile I und II von Johan Svenssons ampèrian loops Michael Beils exit to enter; im zweiten gehen sein swap und Key Jack dem dritten Teil der ampèrian loops voraus. So stehen die beiden Komponisten und ihre Werke nicht einfach gegen- oder nebeneinander, sondern werden vielmehr konzeptuell vernetzt: als „Doppelportraitkonzert“, das Mensch und Maschine in klingende Interaktion treten lässt.

 

 

Fotos Konzert Progetto Positano 2017 © Torben Höke