Portraitkonzert 2018

MANUEL RODRÍGUEZ-VALENZUELA & ANDREAS EDUARDO FRANK

Das Föderstipendium für junge Komponistinnen und Komponisten der Ernst von Siemens Musikstiftung und des ensemble mosaik geht in die zweite Runde: Beim Portraitkonzert des PROGETTO POSITANO am 13. Dezember 2018 im Heimathafen Neukölln stellen sich der spanische Komponist Manuel Rodríguez-Valenzuela (*1980) und der in Nürnberg geborene Komponist, Künstler und Performer Andreas Eduardo Frank (*1987) vor. Beide sind mit multimedialen Arbeiten vertreten, die sich an der Schnittstelle von Musik und Performance bewegen.

In Andreas Eduardo Franks Werken dient der Einsatz von Videoelementen dem Spiel mit Identität: Musikerinnen und Musiker vervielfachen sich auf der Leinwand und treten auf der Bühne den Wettkampf gegen das eigene Ich an. Die Sängerin Anne-May Krüger performt in restore factory defaults, das 2017 im Rahmen eines Projektes um Luigi Nonos La fabbrica Illuminata entstand, mit ihrem Cyberclone um die Wette. In seinem neuen Werk noise is a common sound – II (2018), das Frank während seines Stipendienaufenthaltes in Positano begann und das dem ensemble mosaik gewidmet ist, geht er sogar noch einen Schritt weiter, indem er zugleich die Rollenverteilung zwischen Ensemble und Dirigent aufweicht: Der Dirigent steigt in die Performance der Musiker ein während der Pianist die Steuerung der Musiker übernimmt.

 

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Andreas Eduardo Frank über noise is a common sound – II

„Geräusch oder englisch „noise“ ist im Alltagsgebrauch ein eindeutig konnotiertes Wort, dessen sinnliche Herkunft jedoch einer maximalen Uneindeutigkeit entspringt.
Geräusche sind meist vage Klänge, die von uns nicht sofort einzuordnen sind, oder ganz im Gegenteil sind es übereindeutige und unnatürliche Klänge, die maschinell oder künstlich wirken, wie z.B. die elektronischen Wellenformen eines Synthesizers oder die Warntöne einer bedrohlichen Maschine.
Gemeinsam haben sie jedoch eines: Geräusche verfügen über eine hohe – für uns nicht dekodierbare – Informationsdichte, mit der sie unsere Sinne überfordern und überreizen.

Das Stück noise is a common sound – II, hat zwar seinen Ursprung in genau diesen, für uns überfordernden, befremdlichen Klanglichkeiten. Doch das Stück entrückt diese harschen Geräusche aus unserem alltäglichen Kontext.
Der Zuschauer findet, sich mit einer bunten Palette an Noise konfrontiert, in einem immersiv-virtuellen Setting wieder. Vor ihm steht ein futuristischer Ensemblekörper, der sich wie in einem Retro-Arcade game mit einer Lautsprecher-Choreografie den Weg durch den Geräusch-Dschungel schlägt.
Es entsteht eine kohärente Sprache deren Wörter sich gleichermaßen aus Geräuschen, musizierenden Körpern und Licht zusammensetzen. Denn jedes Geräusch, das von einem Menschen gespielt wird, erhält das Potential, musikalisiert zu werden. Jeder Lichtfunke verbindet sich mit dem Akt der Performance und gibt einen neuen Blickwinkel auf das Gesagte. Digitales Rauschen wird menschlich, bekommt ein Zuhause, einen analogen und lebendigen Ressonanzkörper, den wir mit unseren Sinnen ertasten können.“

 

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Manuel Rodríguez-Valenzuelas Videoarbeiten rücken die Instrumente in den Vordergrund: Sein Stück <29> (parts I+II+III) (2014–18) lässt den Pianisten mit einer zweiten, von Geisterhand bedienten Klaviatur ins Duett treten, während das Ensemble mit mechanischer Geräuschkulisse die Vorgänge auf der Leinwand nachzeichnet und untermalt. Drei elektrische Schreibmaschinen werden in Rodríguez-Valenzuelas T(t)-blocks D zu Instrumenten, die sich scheinbar während des Spielens ihre eigene Partitur schreiben und formen. Schon fast traditionell wirkt in diesem Kontext sein 64 daily self-portraits/micro-variations on a motive of Brahms (2016–17) mit seiner Klavierquartettbesetzung. Die 64 Abschnitte des Werkes sind von aphoristischer Kürze und bildeten 2016 den Anfang der Zusammenarbeit des Komponisten mit dem ensemble mosaik.
Der erste Stipendiat von PROGETTO POSITANO war 2017 der schwedische Komponist Johan Svensson.

 

ABSOLUTER GESTALTUNGSWILLE, PHANTASTISCHES SPIEL MIT GEGENWART

von Michael Zwenzner

Der gewitzte Auftritt dreier elektrischer Schreibmaschinisten, ein 64-fach pointenreich variierter Takt eines Klavierquartetts von Brahms, ein episches Duell zwischen Mensch und Maschine, eine audiovisuell dissoziierte Sänger-Darstellerin auf der Jagd nach sich selbst, die elektronisch tönende Verlagerung virtuosen Musizierens auf Druckknöpfe und Handlautsprecher – man wird die überaus turbulenten, auch technoiden Eindrücke dieses Konzerts auf Anhieb kaum in Verbindung bringen mit der Idylle eines alten Fischerdorfs an der kampanischen Amalfiküste, zumal der ruhig über dem Ortskern von Positano gelegenen Casa Orfeo – einst Wohnsitz Wilhelm Kempffs. Und doch haben Manuel Rodríguez-Valenzuela und Andreas Eduardo Frank dank zweier Stipendien die Ruhe eben jenes Ortes für ihre künstlerische Arbeit fruchtbar gemacht – sei es durch nachdenkliches Innehalten bei Frank oder die konkrete Realisation eines Projektes bei Rodríguez-Valenzuela (hier seines erstmals komplett mit Video aufgeführten <29> für Disklavier und Ensemble).

Alle Werke im Programm liefern herausragende Beispiele für die Möglichkeiten, die sich durch die vielbeschworene „digitale Revolution“ für die Kunstmusik unserer Zeit eröffnet haben. Der neugierige, kritische, liebevolle Blick in die Welt – von Prozessen der Digitalisierung auf so bereichernde wie beunruhigende Weise durchdrungen – führt zu gleichermaßen spielfreudigen wie hintersinnigen Bewegungs-, Klang- und Bildkonstellationen, innerhalb derer am Schnittpunkt zwischen Realität und Virtualität auch immer wieder das Verhältnis zwischen Kunst und Lebenswirklichkeit thematisiert wird. Das gilt für Franks Musiktheater-Performance Restore factory defaults mit ihrer ästhetischen Reflexion des Marx’schen Begriffs vom „Gattungswesen“ genauso, wie für das einzige rein konzertante Werk des Abends: In Rodríguez–Valenzuelas 64 daily self-portraits ist es das musikalisch verklausulierte, hier und da anekdotische Eindringen alltäglicher Empfindungen, Erlebnisse und Aktivitäten in die Sphäre künstlerischer Arbeit. Die genau datierten, aber nicht chronologisch angeordneten Variationen bilden eine Art Tagebuch, mit dem sich der Komponist über zwei Monate hinweg Rechenschaft über sein eigenes Handeln geben wollte, und dessen Einträge er mit einigem Humor betitelt hat. Zu lesen ist da etwa „köttbullar“, „fly on white canvas“, „procrastinations“ oder – für das unverändert auftauchende Brahms-Zitat – „naked“.

Frank sieht eine seiner zentralen Aufgaben im künstlerischen Reagieren auf die Allgegenwart von Internet und sozialen Medien. Man müsse Haltung beziehen und sich auf kritische Art – sei es ernst oder ironisch – damit auseinandersetzen, was ein hyperdynamischer Raum wie das Internet mit uns mache, so der Komponist. Der Überforderung durch ubiquitäres digitales Rauschen begegnet er mit noise is a common sound – II: „Geräusche verfügen über eine – für uns nicht dekodierbare – hohe Informationsdichte, mit der sie unsere Sinne überreizen. Das Stück hat zwar seinen Ursprung in genau diesen, uns überfordernden, befremdlichen Klanglichkeiten, doch entrückt es diese harschen Geräusche dem alltäglichen Kontext. […] Digitales Rauschen wird menschlich, bekommt ein Zuhause, einen analogen und lebendigen Resonanzkörper, den wir mit unseren Sinnen ertasten können.“ Hier ist seitens der Musikerinnen und Musiker Kopf- und Körpereinsatz weit über die im Studium erlernten Fertigkeiten hinaus gefordert, etwa wenn die abwechselnd in Licht und Dunkel getauchten Streicher und Bläser einhändiges Instrumentalspiel mit genau choreografierten Lautsprecherbewegungen zu koordinieren und dabei alle Klänge „so genau und synthetisch wie möglich“ auszuführen haben.

Die künstlerische Umsetzung ihrer oft multimedialen ästhetischen Visionen mithilfe von Computer, instrumentalen Neukonstruktionen oder gegenüber den Errungenschaften etwa eines Helmut Lachenmann nochmals beträchtlich erweiterten Spieltechniken zählt zu den Hauptmerkmalen des Schaffens beider Komponisten. So nutzen sie ebenso individuell wie virtuos die Möglichkeiten computergesteuerter Elektronik bei Klangdiffusion und Bildprojektion, jeweils exakt koordinierbar mit den Aktionen der Musiker. Neben vorproduzierten Audio- und Videozuspielungen und diversen live-elektronischen Bearbeitungsverfahren begegnet man detailliert geplanten Bühnensituationen und außergewöhnlichen instrumentalen Setups, etwa in Gestalt der mit Effektpedalen versehenen Schreibmaschinen in Rodríguez-Valenzuelas T-(t) Blocks D, ein einzeln oder mit weiteren einer Reihe von Solostücken simultan aufführbares Werk, dessen Titel und Kompositionstechnik sich auf die redundanten, stets neu kontextualisierten Formen des Computerspiels Tetris bezieht.

 

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Rodríguez-Valenzuelas <29> (sein 29. Opus), dessen drei charakteristische Einzelsätze zu verschiedenen Zeiten entstanden, beeindruckt mit dem in jeder Hinsicht präzise gestalteten Nach-, Mit- und Ineinander unterschiedlichster akustischer Sphären: Gleichsam atmende Organismen treffen auf ratternde Maschinen, geometrisch inspirierte, scharfkantige Tonkaskaden des Disklaviers auf die maximale Ausdifferenzierung von Ensembleklang und -textur. Die hochgradig deterministische Haltung der Komponisten spiegelt sich in der präzisen Verschriftlichung, die mit fantastischer Zeichenfülle und -vielfalt komplexe und dabei erstaunlich sinnfällige Vernetzungen verschiedener Gestaltungsebenen und Wahrnehmungsmodalitäten bewerkstelligt und quasi nebenbei für visuelle Kunstwerke eigenen Rechts sorgt. Hier waltet ein unbedingter Gestaltungswille, der Raum und Zeit bis ins kleinste Detail durchwirkt, verbunden mit großem Arbeitsaufwand und geradezu unerbittlichem Zugriff auf den Bewegungsapparat der Musiker.

 

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